Möhringer wollen die „Apotheke im Dorf lassen“

Der Online-Versandhandel aus dem Ausland bedroht gleichzeitig Existenzen und birgt erhebliche Nachteile für die Verbraucher

 

Mit einer bundesweiten Unterschriftenaktion, die vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist, haben Apotheker gewarnt: „Gesundheitssystem in Gefahr!“ Als Ursache führten sie vor allem eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) an, die es ausländischen Konzernen noch einfacher macht, sich auf Kosten der Apotheken vor Ort zu bereichern. Wir haben die Chefs der Möhringer Apotheken gebeten, unsere Leser über Hintergründe aufzuklären.

 

Von Klaus Grundgeiger

 

Dr. Friedrich Röhm von der Landhaus-Apotheke schreibt uns dazu:

 

„Der EuGH hat mit seinem Urteil Bedingungen geschaffen, die zur Folge haben, dass ausländische Versandapotheken sich an ihr nationales Recht halten dürfen, während die Apotheken in Deutschland sich an deutsches Recht halten müssen. Die nationalen Rechtssysteme unterscheiden sich vor allem in der Sozialgesetzgebung – wozu auch das Gesundheitswesen zählt – aufgrund historischer Entwicklungen sehr stark voneinander. Es gibt Möglichkeiten der deutschen Gesetzgebung, dies zu verhindern. Den Weg hat sogar der EuGH in seinem Urteil vorgezeigt. Sollte dies nicht gelingen, wird die Apotheke, wie wir sie in Deutschland kennen, den Weg der Fachdrogerien Ende der Sechzigerjahre gehen. Die Frage ist dann nur noch, wie schnell das geschieht. Und was das heißt, weiß man in Möhringen nur zu gut: Wir kaufen Drogerieartikel im Fasanenhof, in Degerloch oder in Vaihingen.

 

Der Versand von Arzneimitteln hat seine Tücken. Sie sind oft temperaturempfindlich. Wer garantiert Ihnen auf dem Versandweg die Einhaltung der richtigen Temperatur?

 

(...) Eine große Krankenkasse macht einen Vertrag mit einer Versandapotheke und zwingt ihre Mitglieder, dort zu bestellen. Der Wert der Daten, die dort gesammelt werden, ist immens und für viele andere Unternehmen von größtem Interesse. Wer schützt uns vor Datenmissbrauch?

 

Bei der ganzen Betrachtung wird immer suggeriert, dass neben der Versandapotheke immer noch genügend Apotheken vor Ort seien, die dann offene Fragen oder eine Akutversorgung durchführten. Logischerweise ist dies eine Illusion.“

 

Negativ für Verbraucher

 

Claudia Dolipski von der Mohren- Apotheke beschäftigt sich intensiv mit nachteiligen Folgen für die Verbraucher, wenn sich diese auf den Onlinehandel mit Arzneimitteln einlassen.

 

„In einer Apotheke muss während der Öffnungszeiten immer mindestens ein Apotheker anwesend sein (Anmerkung: Jeder Apotheker hat ein pharmazeutisches Studium an einer Universität absolviert). In der Kundenberatung setzen wir nur Apotheker oder ausgebildete pharmazeutisch- technische Assistent(inn) en ein. Die in Deutschland ansässigen Apotheken müssen bestimmte Produkte als Notfallund Katastrophenbevorratung auf Lager haben, jede Apotheke muss, in regelmäßigem Wechsel mit anderen Apotheken, Notdienste leisten. Wir beraten unsere Kunden – jeden Einzelnen –, weil es unsere Aufgabe ist und weil wir es gerne tun. Um dies zu bewerkstelligen, schicke ich meine Mitarbeiter regelmäßig zu Fortbildungen. Alle hierfür anfallenden Kosten entstehen einer Versandapotheke nicht – und schon gar nicht einer im Ausland ansässigen Versandapotheke. Ich will noch einen anderen Aspekt erwähnen: Ich habe nicht nur meine Apotheke in Möhringen, sondern ich lebe auch mit meiner Familie hier, meine Kinder gehen in Möhringen zur Schule.

 

Immer wieder stelle ich mir beim Gang durch Möhringen die Frage, wie denn unsere Einkaufsinfrastruktur in Möhringen in zehn oder 20 Jahren aussehen wird. (...) Da gibt es viele Betriebe in Möhringen, bei denen die Eigentümer ums Überleben kämpfen und die ich vermissen würde, wenn es sie nicht gäbe. (...) In Bezug auf das Thema Apotheke: Wenn es die Bürger, durch den Fokus auf eine vergleichsweise geringe Kosteneinsparung, den zwischenzeitlich doch sehr unpersönlichen Krankenkassen und den einzig profitorientierten Ver sandhandel sapotheken überlassen, wie unsere Beratungs- und Versorgungsstruktur mit Medikamenten aussehen soll, dann hat das absehbare Folgen für die Apotheken vor Ort. Wir – und damit meine ich nicht nur das Team der Mohren-Apotheke, sondern auch die anderen Apotheken in Möhringen – sind sehr gerne für unsere Kunden da und beraten gerne mit einem freundlichen Wort und sehr guter Beratungskompetenz. Wir freuen uns auf jeden Kunden – und das nicht in erster Linie wegen des Umsatzes, den wir mit ihm machen.“

 

Für das Gemeinwohl

 

Silvie-Alexandra Eckert von der Sonnen-Apotheke hat den Spruch geprägt: „Lassen wir die Apotheke im Dorf!“ Hier ihr Beitrag zum Thema;

 

„Für mich als Apothekerin vor Ort war das EuGH-Urteil ein Schock, denn es setzt mich einem Wettbewerb aus, den ich nicht gewinnen kann. Ausländische Versandapotheken picken sich durch die Rabattaktionen die Rosinen aus dem Kuchen. Ich versorge mit meiner Apotheke zu den gesetzlich festgelegten Konditionen all meine Patienten und Kunden, ich fertige Rezepturen, bin im Nacht- und Notdienst erreichbar, beliefere Arzneimittel nach dem Betäubungsmittelrecht für Schwerkranke und sorge dafür, dass alle Arzneimittel auch unter erforderlichen Kühlbedingungen bei meinen Patienten landen. Viele dieser apothekerlichen Gemeinwohlaufgaben will und kann der Versandhandel nicht leisten. So bleiben die kosten- und personalintensiven Aufgaben bei mir, während der Versandhandel das abgreift, was einfach abzuwickeln ist. Unser Versorgungssystem kommt somit leider aus dem Gleichgewicht.

 

Denn wenn vielen Apotheken dieses Brot- und Buttergeschäft wegbricht, geht unsere gute Versorgungsstruktur in die Knie. Ich möchte, dass wir auch in den kommenden Jahren unsere Apotheken im Ort haben, denn sie sind wichtige Pfeiler unserer Gesundheitsversorgung.

 

Wer ein fieberndes Kind oder starke Schmerzen hat, möchte nicht warten, bis ein Päckchen erst nach drei Tagen die Arzneimittel bringt. Da nützt auch der Rabatt nichts. So jemand braucht schnelle Hilfe – und dafür stehe ich mit Freude jeden Tag in der Apotheke! Ich wünsche mir dafür gerechte und faire Bedingungen für mich und alle Kollegen!“

 

Wieder näher an die Kunden

 

Volkhard Lechler, Chef der Filderbahn Apotheke und der Apotheke am Sonnenberg, ist ein Mann der knappen, aber klaren Worte. Hier die Punkte, die ihm wichtig sind:

 

„Zum Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten – sogenannter RX-Versand: Ich finde beachtenswert, dass der Online-Versand solcher Arzneimittel in den meisten Ländern untersagt ist.

 

Eine aufschlussreiche Zahl: Jede vierte Packung, die verkauft wird, kommt aus Online-Quellen. Diese haben mittlerweile fast 25 Prozent Marktanteil – vor zehn Jahren konnte man noch von maximal acht bis zehn Prozent ausgehen.

 

Ob hier ein Versendeverbot von RX-Arzneimitteln kommt, weiß leider niemand. Das Online- Bestellen generell werden wir nicht mehr verändern, aber für alle, die am Gesundheitssystem beteiligt sind, müssten die Rahmenbedingungen gleich sein. Der Markt wird nicht einfacher, die Apothekendichte sinkt, was die Versorgung in einigen Regionen sicher verschlechtert. Siehe die Entwicklung bei den Ärzten. Da die Investitionen in Apotheken extrem hoch sind, finden wir auch immer weniger Personen, die Apotheken übernehmen wollen. Die Zahl der Inhaber von Apotheken geht seit Jahren zurück. Das wird durch die Filialisierung nur etwas gemildert.

 

Wir Apotheker vor Ort müssen jetzt auch Wege finden, wie wir wieder näher an die Kunden kommen, ohne nur immer Rabatte zu geben. Denn an Preisnachlässe gewöhnt man sich allzuschnell und, so die landläufige Meinung: Es hat keinen Wert mehr, was billiger gemacht wird.

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