Alles im Fluss bei ihm

Der Möhringer Blindenfußballer Lukas Smirek im Porträt

 

Abitur, Studium inklusive Auslandsjahr, Job als Softwareentwickler und Fußballprofi: Im Gespräch erzählt Lukas Smirek, wie er all das auch ohne Augenlicht gemeistert hat. 

 

Von AnkeBauer

 

Geht nicht? Gibt’s nicht. Wenn Lukas Smirek aus seinem Leben erzählt, könnte man meinen, genau das sei sein Motto. Der 36-Jährige sitzt auf dem Balkon seiner Wohnung im Zentrum Möhringens, wo er mit seiner Ehefrau und dem knapp dreijährigen Sohn lebt. Die schöne Aussicht kann er leider nicht genießen – Smirek ist seit seinem 19. Lebensjahr blind. „Ich kann noch einen Hauch von hell und dunkel erkennen, aber damit kann man nichts anfangen“, erklärt er.

 

Eine Sehbehinderung begleitete den Softwareentwickler bereits sein ganzes Leben, wovon er sich aber nie einschränken oder entmutigen ließ: In der Grundschule saß er mit Minifernglas in der ersten Reihe, auf dem Gymnasium verfolgte er den Unterricht mit einem großen Fernseh-Lesegerät – bis er kurz vor dem Abi durch eine Netzhautablösung sein Augenlicht endgültig verlor. „Das war ein Riesenschock.“ Doch er schaffte das Abitur, in Physik sogar als Jahrgangsbester. Die Prüfungen schrieb er mit dickem Filzstift auf DIN-A2-Bögen, bei der Vorbereitung las ihm sein Großvater Texte vor. „Mein Umfeld hat mich immer extrem unterstützt“, sagt er. „Und irgendwie dachte ich mir immer: Das wird schon klappen, ich will es einfach schaffen – so wie andere Menschen auch!“ Dazu musste Smirek lernen, wie er künftig seinen Alltag selbstständig bewältigen kann. Dass er selbstbestimmt leben kann, war für das sportliche Stehaufmännchen immer das Wichtigste. Mit dieser Haltung und dem Rüstzeug aus einem Kurs zu „blindentechnischen Grund-qualifikationen“, wo er lernte, im Alltag zurechtzukommen, ging es für Smirek weiter: An der Uni Karlsruhe studierte er Wirtschaftsingenieurwesen und meisterte ein Studienjahr in San Francisco. „Irgendwie war immer alles im Fluss. Das Abi hat mir so viel Mut gemacht, und ab da ist nie etwas ins Stocken geraten.“

 

59 Länderspiele und sechs deutsche Meistertitel

 

Und so kurbelte er auch seine Leidenschaft zum Sport wieder an. Vor seiner endgültigen Erblindung standen Laufen, Turniertanzen und Schwimmen auf Wettkampfniveau auf Smireks Stundenplan. Eine Fahrradtour mit dem Tandem nach Nizza, die er nach seinem Studium machte, bezeichnet er als einen bedeutenden Punkt in seinem Leben: „Es stellte sich ein friedliches Gefühl ein. Davor kam immer wieder so viel Neues dazu, doch ab da kam ich wieder in ruhigere Fahrwasser, ich merkte, dass jetzt die Normalität kommen kann.“ Und zu der gehörte für ihn fortan auch das Fußballspielen. Ein ebenfalls blinder Studienkollege hatte ihn auf die Idee gebracht – und so kam Smirek ins Blindenfußballteam des MTV Stuttgart. Bundesligist, 59 Länderspiele in der Nationalmannschaft und sechs deutsche Meistertitel mag manch einer vielleicht nicht gerade als „ruhige Fahrwasser“ bezeichnen – Smirek schmunzelt. Und erklärt: „Das Tolle am Blindenfußball ist das Zusammenspiel von Blinden und Sehenden, man hält zusammen – ohne das funktioniert es nicht.“ Das Team besteht aus vier blinden Feldspielern und drei Sehenden: dem Torwart, dem Trainer an der Außenseite und einem Guide hinter dem gegnerischen Tor. Gespielt wird auf einem Handballfeld, mit einem rasselnden Ball und Dunkelbrillen – „manche Spieler haben noch einen gewissen Grad an Restsicht“.

 

Gut zehn Jahre kickte er als Profi, in Spitzenwochen mit 15 Stunden Training an fünf Tagen, dazu kamen Job und Familie. „Es war irgendwann zu viel“, sagt Smirek, der heute einmal die Woche zum Training von Möhringen in den Stuttgarter Westen pendelt. „Ich lebe gern in Möhringen“, fügt er hinzu. „Für Nicht-Autofahrer wie mich ist die Verkehrsanbindung top, es gibt viele Läden, einen tollen Wochenmarkt und man ist schnell im Grünen.“

 

Bundesliga kommt

 

Heute blickt Smirek gern auf seine Erfolgsgeschichte als Blindenfußballer zurück und freut sich auf die Bundesligaspiele am 18. und 19. September bei seinem Stuttgarter Verein. Im Fahrwasser der Zufriedenheit blieb er die ganze Zeit. „Klar ist es auch manchmal anstrengend, vor allem der eigene Anspruch, immer möglichst normal leben zu wollen, und dann etwa durch ausfallende Technik doch an seine Grenzen zu stoßen.“ Doch wirkliche Dunkelheit gab es nie. Geht nicht gibt’s einfach nicht.

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 27/2021)

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