Begehen auf eigene Gefahr

Folgenschwerer Sturz an Bahnübergang bleibt wohl ohne Konsequenzen

 

Mit einem bösen Sturz einer Seniorin vor zwei Jahren hat sich kürzlich sogar der Landtag beschäftigt. Doch auch nach einer Vor-Ort-Besichtigung eines Petitionsausschusses wird die Verunfallte wohl auf den gesundheitlichen und finanziellen Kosten sitzenbleiben – denn die Bahnübergänge wurden regelkonform umgestaltet.

 

Von Daniel Stoll

 

Einen gewissen Tag im Juni 2018 wird die Seniorin nicht so schnell vergessen: Obschon in ihren Achtzigern, ist sie zu Fuß nach wie vor gut unterwegs, schwamm im Strom der Mitrei­senden mit. Und plötzlich stürzte sie an einer unscheinba­ren, damals neu angebrachten Kante – so schwer, dass sie meh­rere Zähne einbüßte.

 

Ein Einzelfall? Mitnichten, meint die Betroffene, was bei anderer Gelegenheit vor Ort eine wei­tere ältere Dame mit Einkaufs­trolley aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigt: „Am An­fang gab es viele Probleme. Da bin ich selbst auch mal mit dem Wägele hängen geblieben, ge­stürzt und hab mich am Arm verletzt. Der Mensch ist ein Ge­wohnheitstier – später haben sich die Leute an die neue Kante gewöhnt.“

 

Genauer gesagt handelt es sich um Kontraststeine, sogenannte Rundborde auf beiden Seiten des Gleisbereichs. Deren Kante ist drei Zentimeter hoch und „weist damit das Minimum des­sen auf, was mit einem Blinden­stock sicher zu ertasten ist“, teilt Birte Schaper auf Anfrage mit, Sprecherin der Stuttgarter Stra­ßenbahnen AG (SSB). „Für Fuß­gänger mit und ohne einge­ schränktes Sehvermögen weist die Kante selbst einen starken Hell­dunkel­Kontrast auf, der bei der SSB einen nahezu dop­pelt so hohen K­-Wert hat wie der geforderte Standard.“ Aller­dings gehe es bei der baulichen Realisierung von Barrierefrei­heit nicht ohne Kompromisse, „wie im Falle der Tastkante bei­ spielsweise in Abwägung mit den Interessen von Rollstuhl­ fahrern“.

 

Nicht ohne Kompromisse

 

Im Hinblick auf den Vorfall vor zwei Jahren fügt die Sprecherin hinzu:„Wenn eine Passantin auf einer solchen Verkehrsfläche stürzt, ist die SSB nur dann haft­bar, wenn eine Verletzung der sogenannten Verkehrssiche­rungspflicht vorliegt.“ Dies sei hier nicht der Fall: „Es mag für Betroffene im Einzelfall sehr hart sein, aber ein Sturz im öf­fentlichen Raum fällt in die ei­gene Verantwortung und in das eigene Risiko.

 

„Der Unfall der Seniorin ist furchtbar“, bedauert Simone Fi­scher. Doch die Maßnahmen der SSB seien normgerecht, so die städtische Behindertenbe­ auftragte: „An der DIN wirken Sachverständige sowie viele Betroffene mit unterschiedli­cher Behinderung mit.“ Bei den so entstehenden Kompromis­sen „wird im Expertenkreis zum Beispiel abgewägt, was lebens­- bedrohlich und was erschwe­rend ist. Wenn an solch elemen­taren Stellen weitreichende Veränderungen vorgenommen werden, können aussagekräf­tige Informationen helfen.“ Dies könne in Form von öffentlicher Berichterstattung, Ansagen, Hinweisschildern oder Ähnli­chem geschehen.

 

Kein Mitverschulden

 

Dem Rat zu besserer Kommuni­kation schließt sich der CDU­ Landtagsabgeordnete Sieg­fried Lorek an, der als Mitglied des Petitionsausschusses vor Ort ebenfalls kein Verschulden der SSB erkannte.„Kulanz für die Dame bei der Finanzierung des Zahnimplantats können wir nicht einfordern.“ Nun stünde ihr noch der Rechtsweg offen, dem er allerdings geringe Er­- folgsaussichten einräumt. Diese Einschätzung teilt Andreas Ken­ner: „Den teuren Rechtsweg einzuschlagen, würde ich ihr nicht empfehlen“, so der SPD­ Abgeordnete im Landtag und fährt fort: „Die Frau dauert mich, sie wäre froh um jeden Euro.“ Die Einrichtung eines Fonds sei hier eine Möglichkeit.

 

Ingrid Schulte vom Stadtsenio­ renrat ergänzt: „Sie könnte ei­ nen Antrag bei der Caritas oder bei uns stellen. Dann könnten wir uns bemühen und sehen, ob wir etwas für sie erreichen können.

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