„Danke dir, Stau“

 

Ich kann es gar nicht erwarten, das lange Warten. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit das gleiche Ritual: lauter Gleichgesinnte stehen um mich herum in der Autoschlange. Keine Beschleunigung. Kein rasantes Überholen. Kein Schneller, Schneller. Hier gilt nicht das Recht des Stärkeren. Keine Aggression auf der Straße. Jeder zeigt Verständnis für den anderen und handelt zuvorkommend und vorausschauend. Lässt den anderen in eine vor ihm entstehende Lücke hineinfahren. Kein Zeitdruck. Alles entspannt sich. Ich bin Stausucher geworden und richtig süchtig nach Staus. Der Andrang an Stau-Interessierten ist so groß, die Stadt Stuttgart will dafür eine eigene Stauver waltung einrichten. Es sollen die positiven Aspekte der neuen Bewegung zentral erfasst und ausgewertet werden. Mittlerweile gilt Stuttgart deutschlandweit als Musterstädtle in Sachen dieser neuen Entschleunigung. Selbst die Arbeitgeber haben erkannt, welch hohes wirtschaftliches Potenzial sich hinter den Staus verbirgt. In den Autos kommt es zu wertvollen Visionen, Ideen und Entwicklungen, die man am Büroarbeitsplatz so gar nicht erfahren k ann. Man ist mit sich im Blech allein und kann hirnen, kommt herunter vom täglichen Stress, ist entspannt und ausgeruht. Wichtige Telefonate und Mails werden im Stau erledigt. Stillstand bedeutet hier nicht Rückschritt, sondern Fortschritt. Hinein in neue Sphären des täglichen Miteinanders zu mehr Menschlichkeit. Das Wunderbare daran: Es schließen sich viele dieser neuen Bewegung an und es kommen in den nächsten Jahren noch mehr dazu, dank neuer Autos für den Stillstand. Es fehlt nur noch eines: Ruheoasen im Auto mit morgendlichen Yogaübungen, heißem Kaffee und frischen Croissants auf dem Weg zur Arbeit, ohne Beschleunigungsdruck hin zu mehr Effizienz. Im Stau überhole ich mich selbst. Glosse von rs

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