Die Solidarität ist riesig

Überwältigende Anteilnahme und Hilfsbereitschaft für die Ukraine

 

Aus der ganzen Region pilgern Freiwillige in den Fasanenhof, um Menschen in der Ukraine zu unterstützen. Sie sortieren, verpacken und verladen Sachspenden. Im katholischen Gemeindehaus St. Ulrich stapeln sich innerhalb weniger Tage Tausende Kartons.

 

Es ist Mittwoch, 17 Uhr. Vor dem Gemeindehaus im Delpweg 12 steht ein dunkler Lkw, drei junge Männer karren eine Europalette voller Kartons auf einem Hubwagen daher. Einer von ihnen ist Nazary Petruniv. Seit einer Woche kommt der junge Mann jeden Abend her, um anzupacken. Er gehört der ukrainischen Partnergemeinde an. Anders sein Mithelfer Christoph Lehnert, der im Kreis Böblingen wohnt und die Gemeinde kontaktierte, weil er „einfach helfen wollte“. So geht es vielen. Im Gemeindehaus herrscht Hochbetrieb. Dort, wo keine Kartons stehen, eilen mehrere Dutzend Helferinnen und Helfer umher. Einer, der den Überblick behält, ist Kevin Tunstall. Der Engländer, der gemeinsam mit seiner Frau Anita, die aus Polen stammt, in einer der drei Wohnungen im Gemeindehaus wohnt, ist jeden Tag hier. Seit dem Spendenaufruf der Gemeinde seien unzählige Kartons abgegeben worden, vor allem sehr viel Kleidung. Die wird im großen Saal von etwa 15 Helferinnen sortiert. 

 

In anderen Räumen sortieren die Ehrenamtlichen Medikamente, Ausrüstung, Nahrungsmittel und Hygieneartikel. Bei Laura Weber aus Sindelfingen hat die Chefin den Anstoß gegeben, nach Feierabend zu helfen. Petra Amreh aus Heumaden hat im Internet gelesen, dass Unterstützung gesucht wird. Eine andere Helferin ist Sozialpädagogin an einer Schule in Degerloch, möchte aber nicht genannt werden. Die gebürtige Ukrainerin lebt seit fünf Jahren in Degerloch, hat vor drei Tagen ihre Cousine, die mit ihrer siebenjährigen Tochter aus Kiew geflohen ist, bei sich aufgenommen. Auch nach der Ankunft in Deutschland habe das Mädchen Angst gehabt, auf die Straße zu gehen, die Mutter sei ebenfalls traumatisiert. Für die Geflüchteten und ganz besonders die Kinder sei eine psychologische Unterstützung enorm wichtig, sagt sie mit Nachdruck. Auch für die deutschen Kinder, die natürlich auch über den Krieg sprechen. „Einige meiner Schüler, die wissen, dass ich Ukrainerin bin, haben mich gefragt, ob ich noch am Leben sei.“ Ihre Eltern und ihr Bruder leben in der Ukraine. Mit dem Krieg gerechnet habe dort niemand. 

 

Inzwischen ist der Lkw voll beladen und fährt los, ins Industriegebiet Schelmenwasen, wo die Kartons in einen 40-Tonner geladen werden. Möglich gemacht hat dies die Tria Logistik GmbH aus dem Synergiepark, die den Transport spendet. Geschäftsführerin Tonkica Nadarevic kommt aus Möhringen und hat kroatische Wurzeln. Überhaupt kommt viel Unterstützung aus der kroatischen Gemeinde. „Wir kennen uns aus mit Krieg, Erdbeben und daher auch mit Hilfstransporten“, sagt Ante Prussina. 43 Paletten passen in den 40-Tonner, der sich noch in dieser Nacht auf den Weg in die West-Ukraine, ins 1.360 Kilometer entfernte Lwiw machen soll. 

 

„Dort werden die Spenden dringend gebraucht“, sagt Iryna Patrylo. „So viele Menschen sind dahin geflohen, es ist, als ob die Einwohner aus Hamburg, Berlin und München auf einmal in Stuttgart wären.“ Auf ihrem Handy zeigt sie ein Foto, dass ihr Vater, der in Lwiw lebt, per WhatsApp geschickt hat: leere Supermarktregale. Patrylo stammt aus der Ukraine, hat in Deutschland studiert, lebt in Weil der Stadt. Und war seit Beginn der Spendenaktion jeden Tag nach Feierabend vor Ort im Fasanenhof, oft bis 23 Uhr. „Irgendwann habe ich gemerkt, es geht nicht mehr, es wird einfach zu viel. Jetzt lege ich einen Tag Pause in der Woche ein.“ 

 

Roman Wruszczak aus Degerloch ist der Pfarrer der ukrainischen Gemeinde. Er ist überwältigt und dankbar für die Unter-stützung von so vielen Seiten in dieser schwierigen Zeit. Ihm scheinen die Worte zu fehlen. Dann: „Ich bin tief bewegt.“

 

Von Emily Schwarz

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 11/2022)

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