Hausärzte am Limit

Dauer-Telefonklingeln, ellenlange Impf-Wartelisten und Impfstoffmangel

 

„Die Hausarztpraxen bewältigen einen großen Ansturm auf ihre Praxen. Die Terminvergabe und das Impfgeschehen bringen die Praxen an ihre Belastungsgrenzen“, klagt der Hausärzteverband Baden- Württemberg. Das scheint auch in Möhringen der Fall zu sein.

 

Von Emily Schwarz

 

Die Hausarztpraxis von Dr. Yanina Martius an der Vaihinger Straße zum Beispiel war in der letzten Maiwoche wegen Urlaub geschlossen – eigentlich. Trotzdem wurden Impfungen durchgeführt. „Am Tag impfen wir circa 100 bis 120 Patienten parallel zur Sprechstunde“, so die Fachärztin für Innere Medizin. „Am Wochenende ordne ich die Termine ein und beantworte die 75 bis 100 Mails, die wir am Tag bezüglich Impfterminen bekommen.“ Auf der Website schreibt das Praxisteam explizit: „Terminanfragen zur Impfung, wenn möglich, bitte nur per EMail.“ So soll auch das Dauerklingeln des Telefons in der Praxis vermieden werden. Trotzdem ist das Telefon im Dauerklingel-Modus. „Die Hunderte Anfragen per Telefon lassen sich neben der alltäglichen Tätigkeit kaum bearbeiten. Die ‚regulären‘ Patienten kommen telefonisch nicht durch und lassen ihre Wut bei Google oder Jameda, der Internet-Suchmaschine für Ärzte, ab“, sagt Dr. Martius. „An uns wird von einigen Patienten, die keinen Impftermin bekommen, Frust und teilweise Hass abgelassen. Und ja, der Ton wird oft ruppig und ungehalten.“ Sie sei am Limit, auch die täglich geleisteten 15 bis 17 Stunden Arbeitszeit reichen nicht mehr aus.

 

Und es wird nicht weniger: Demnächst folgt mit dem Ausstellen von Impfzertifikaten noch mehr Bürokratie. „Dazu sind Ärzte verpflichtet, wenn auch nur für diejenigen, die ihre Impfung in der Praxis bekommen haben. Voraussetzung dafür ist die notwendige Software, ein ‚Zertifikatmodul‘. Aktuell ist die Technik noch nicht einsatzbereit.“ Ein zusätzlicher Stressfaktor, denn viele Patienten fragen bereits nach den Zertifikaten. Verzweiflung und Frustration gehen so weit, dass die Ärztin mit dem Gedanken spielt, das Impfen künftig den Impfzentren zu überlassen.

 

Skepsis gegenüber Astrazeneca gesunken

 

Immerhin: Viele Patienten wollen sich impfen lassen. „Hauptsächlich möchten die Patienten den Biontech-Impfstoff“, sagt Arzthelferin Liliana Ferreira. Auch der Impfstoff von Johnson & Johnson sei beliebt, was daran liegt, das bei ihm eine Impfung ausreicht. Trotzdem: Immer häufiger lassen sich auch jüngere Patienten in der Praxis mit dem Impfstoff von Astrazeneca impfen. Die Leute wollen sich impfen lassen, das zeigt auch die Warteliste: Fünf DIN-A4-Seiten lang sei allein die Warteliste für den Biontech- Impfstoff. Erfreulicherweise gebe es nur sehr selten Terminabsagen. Für eine große Zusatzbelastung sorge die Erreichbarkeit der Patienten: „Oft sind die Patienten nicht gleich erreichbar und wir telefonieren stundenlang.“ Denn vorab können nicht alle Termine vereinbart werden. Die Praxismitarbeiter haben nämlich keinen Einfluss darauf, wie viel vom bestellten Impfstoff sie tatsächlich geliefert bekommen. Dr. Martius stellt fest: „Die Menge wird immer kürzer! Da kriege ich oft Herzklopfen, wie aktuell (an einem Freitag Anfang Juni, Anm. der Red.), als ich erfahren habe, dass die Zweitimpfungen mit Biontech gefährdet sein können. Die fehlenden Menge bedeuten für uns wieder zusätzliche Arbeit: anrufen, e-mailen, Termine verschieben.“

 

Wer seinen Namen jetzt auf die Warteliste setzen lässt, muss Geduld mitbringen: Wochen oder Monate werde es dauern, bis die (erste) Impfung tatsächlich verabreicht werden könne.

 

Kassenärzte fordern Entlastung der Praxen

 

Auf die angespannte Situation geht auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg ein und weist darauf hin, dass in den Arztpraxen aktuell keine Termine für Erstimpfungen vergeben werden können. Der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Johannes Fechner, bittet die Patient:innen deshalb dringend, von Terminanfragen für Impfungen in den Praxen abzusehen. „Die Hausund Facharztpraxen in Baden- Württemberg werden von Telefonanrufen Impfwilliger überrannt. Die Aufhebung der Priorisierung in den Arztpraxen lässt die Menschen auf eine rasche Corona-Impfung hoffen. Aktuell sind aber keine Erstimpfungen möglich, weil kein Impfstoff zur Verfügung steht und die Kapazitäten für die Zweitimpfungen benötigt werden. Rufen Sie daher bitte für Impftermine nicht in den Arztpraxen an, Sie blockieren die Telefonleitungen.“ Auf Nachfrage bestätigt Pressesprecher Kai Sonntag: „Nach wie vor steht zu wenig Impfstoff zur Verfügung, sodass nur sehr eingeschränkt Erstimpfungen vorgenommen werden können. Das gilt für die Haus- sowie die Facharztpraxen.“ Betriebsärzte hatten bei Redaktionsschluss noch nicht damit begonnen, Corona-Impfungen durchzuführen.

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 23/2021)

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