Nähe und Distanz wahren

Vaihinger Kinderkrankenschwester über ihre Arbeit im Hospiz

 

Regine Süßer arbeitet seit dreieinhalb Jahren im Kinder- und Jugendhospiz in Stuttgart-Mitte. Ein Gespräch über das Leben im Hospiz, emotionale Belastung und neue Herausforderungen durch die Pandemie.

 

Von Emily Schwarz

 

„Nähe zum Menschen, Distanz zum Schicksal“, lautet das Mantra von Regine Süßer aus Vaihingen. Das muss sie sich immer wieder in Erinnerung rufen. Für den Menschen da sein, ihm helfen, aber den Abstand zum Schicksal halten, um sich nicht damit zu identifizieren. Das ist wichtig, um eine professionelle Begleitung gewährleisten zu können und um Betroffenen den Halt geben zu können, den sie brauchen. Denn schließlich war das auch der Grund, weswegen sich die Vaihingerin nach 20 Jahren Arbeit in der Intensivstation im Krankenhaus für den Wechsel ins Kinder- und Jugendshospiz entschieden hat. „Ich hatte das Gefühl, den Familien mit ihrem erkrankten Kind und den individuellen Bedürfnissen nicht mehr gerecht zu werden.“

 

Unterschiede zum Hospiz für Erwachsene

 

Der Alltag im Hospiz dagegen richtet sich überwiegend nach den Wünschen und Bedürfnissen der Gäste. Es gibt keine festen Vorgaben, die erfüllt werden müssen. „Zusammen-gefasst könnte man auch sagen, es wird hier den Tagen mehr Leben gegeben.“ Überhaupt: Im Hospiz steht das Leben im Mittelpunkt, nicht der Tod – auch wenn der ein gedanklicher Begleiter sein mag. Bleiben die Gäste im Erwachsenen-Hospiz meist nur wenige Tage oder Wochen bis zu ihrem Tod, haben Kinder und Jugendliche mit einer lebenslimitierenden Erkrankung gemeinsam mit ihren Familien pro Jahr für vier Wochen – am Stück oder übers Jahr verteilt – die Möglichkeit, Gast im Kinder- und Jugendhospiz zu sein. 

Die Kinder und Jugendlichen haben aufgrund ihrer Erkrankung oder den damit verbundenen Risiken keine „normale“ Lebenserwartung und keine reelle Chance auf Heilung. 

Ein wahrer Segen ist der Aufenthalt für die ganze Familie. Das stationäre Kinder- und Jugendhospiz schafft eine enorme Entlastung. „Hier müssen sich die Eltern einmal nicht kümmern, dürfen es jedoch jederzeit tun“, erzählt Süßer. „Sie können den Fokus auf Lebensqualität legen und sich um die gesunden Geschwisterkinder oder um sich selbst kümmern.“ Eine Mutter zum Beispiel, die ihr Kind zu Hause pflegte, konnte im Hospiz endlich ohne Unterbrechung nachts schlafen – zum ersten Mal seit acht Jahren. Auch für Qualitytime mit den betroffenen Kindern ist Raum und Zeit. „Diese Familien sind sehr belastet. Wir können uns deren Alltag häufig gar nicht vorstellen.“ Im Hospiz können Eltern Kraft tanken und sich mit anderen Betroffenen austauschen.

 

Corona erschwert Hospizarbeit

 

In den vergangenen Monaten war das allerdings nicht in vollem Umfang möglich: „Der hospizliche Gedanke passte häufig nicht mit den Vorgaben der Corona-Regeln überein.“ Abstand in Situationen, in denen Menschen Nähe brauchen, zum Beispiel. Mitaufnahme von Geschwisterkindern war nicht möglich, Besuche von Freunden oder Großeltern nur in Ausnahmefällen. Ausgerechnet in dieser Zeit, in der Familien Entlastung ganz besonders bräuchten, konnte das Hospiz nicht mehr als vier bis fünf Kinder aufnehmen. Normalerweise sind es acht. 

Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen gibt es im Hospiz pädagogische, therapeutische und psychosoziale Angebote. Musik- und Fußreflexzonentherapie, Besuch von Therapiehunden und Ausflüge zum Beispiel. Im Stuttgarter Kinder- und Jugendhospiz gibt es außerdem ein Bewegungsbad und einen sogenannten Snoezelenraum mit Wassersäulen und Lichteffekten.

Übrigens: Krankenkassen übernehmen nur die Kosten für die Versorgung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen – und die nur zu 95 Prozent. Die restlichen fünf Prozent und die Begleitung der Familie sind spendenfinanziert.

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 27/2021)

 

Zurück

Einen Kommentar schreiben