„S‘Kreuzstoilindle“

Über Jahrhunderte stand an der Sigmaringer Straße eine geschichtsträchtige Linde

 

Eine heute unscheinbare Grünfläche zwischen der Einfahrt zum Rembrandt-Schulzentrum und der danebenstehenden Hauptverwaltung der Hansa hat eine äußerst bedeutungs- und wechselvolle Entwicklung hinter sich, die bis in vorchristliche Zeit zurückreicht.

 

Von Sonja Mailänder

 

In der „Beschreibung des Oberamts Stuttgart“ von 1851 wird die sogenannte Kreuzlinde erwähnt, die am damaligen Ostrand von Möhringen, umgeben von sieben Steinkreuzen, auf einem Erdhügel wurzelte. Auf den Karten der ersten Landesvermessung von etwa 1830 sieht man diese Kreuze noch eingetragen an einer heute dort nicht mehr vorhandenen Abzweigung der heutigen Sigmaringer Straße in Richtung der Kreuzung Vaihinger Straße/Rembrandtstraße. Um diesen immer mehr als Verkehrshindernis angesehenen Bereich inmitten der Fahrbahn zu beseitigen, wurden die Linde 1845 gefällt, die Steinkreuze entfernt und der Hügel abgetragen. Stattdessen pflanzte man eine neue Linde, die noch bis etwa zum Jahr 2000 als Naturdenkmal nördlich der Sigmaringer Straße zwischen der Einfahrt zum Rembrandt-Schulzentrum und der Hansa stand. Aufgrund einer Pilzerkrankung musste auch diese dann entfernt und erneut durch einen jungen Baum ersetzt werden.

 

Steinkreuze als Grabmale

 

Steinkreuze waren in vergangenen Jahrhunderten in Schwaben häufig anzutreffen. Rudolf Weißer nennt in seinem Werk „Denkmale der Filder aus vergangenen Tagen“ von 1929 noch sechs Exemplare – drei unter einer Linde bei Plattenhardt, eines östlich von Plieningen und zwei bei Wolfschlugen. Der Verbleib der Möhringer Kreuze ist unbekannt. Sie dürften jedoch, ähnlich wie andernorts, aus massigen mehr oder weniger tief in den Boden eingesunkenen Stubensandsteinen bestanden haben. Inschriften oder Zeichen waren nur selten darauf vorhanden. Vergleiche mit anderen in Württemberg vorkommenden Steinkreuzen lassen jedoch verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten zu, die ins Mittelalter zurückreichen: So gab es Erinnerungskreuze an Unglücke, Sühnekreuze an Mordschauplätzen, Grab-oder Richtkreuze an Begräbnisstätten, Stiftungskreuze als Ehren-oder Erinnerungsdenkmale oder Markungskreuze als Grenzmarkierungen. Ein Zeitzeuge, der Hofkupferstecher August Seyffer (1774–1845), hielt die sieben Möhringer Steinkreuze um 1830 entsprechend einer Volkssage für Grabkreuze von Kriegern, die in einer mittelalterlichen Schlacht zwischen Kaltental und Möhringen geblieben seien.

 

Vorchristlicher Grabhügel

 

Nicht im Zusammenhang mit den Steinkreuzen stand jedoch sehr wahrscheinlich der Erdhügel, auf dem sie errichtet worden waren. Bei seiner Abtragung wurden laut Oberamtsbeschreibung ein menschliches Gerippe und eine eiserne messerartige Waffe gefunden. Es dürfte sich daher um ein vorgeschichtliches keltisches oder auch ein alemannisches Hügelgrab für eine höher situierte Person gehandelt haben. Jedenfalls spricht die Tatsache, dass der Hügel über lange Zeit an dieser exponierten Stelle erhalten blieb, dafür, dass ihm auch später große Bedeutung beigemessen wurde. Darauf weist neben den Steinkreuzen auch die Linde hin. Diese Gehölzgattung wurde vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit oft an Gerichtsstätten angepflanzt. Volks-oder Gerichtsversammlungen, das sogenannte Thing oder Ding, mussten früher immer im Freien, häufig auf erhöhten Plätzen und/oder unter einem Baum abgehalten werden.

 

Eine „Gruobbank“ als Abstellbank

 

Noch heute erinnern sich Zeitzeugen, dass neben der 1845 neu gepflanzten Linde bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine „Gruobbank“ (auch Gruhe oder Ruhbank) stand. Auf einer solchen zum Hinsetzen zu hohen Steinbank wurden früher schwere Lasten, etwa Körbe, vom Kopf oder Rücken in geeigneter Höhe abgeladen und von dort wieder aufgenommen. Vor über 100 Jahren waren solche Abstellbänke noch sehr wichtig, denn von der einfachen Bevölkerung, die sich damals kein Lasttier leisten konnte, mussten Güter zu Fuß von Ort zu Ort transportiert werden. 

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 43/2021)

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