Wenn die Ausnahme Alltag ist

Andreas Groll aus Möhringen leitet die Notfallseelsorge in Stuttgart

 

Als frischgebackener Leiter der Stuttgarter Notfallseelsorge steht der Möhringer Diakon Andreas Groll mit seinem Team Menschen in Extremsituationen bei. Im Stadtteil kennt man ihn nicht nur aus der Kirchengemeinde, sondern auch als engagierten Kommunalpolitiker und Netzwerker.

 

„Wir sind eine Art Brückenbauer“, beschreibt Andreas Groll seine Arbeit als Notfallseelsorger. „Wir bleiben so lange bei den Betroffenen, bis die Brücke ins normale Leben wieder steht, also wenn Familienangehörige oder Freunde kommen oder Nachsorgesysteme greifen.“ Die Brücke, von der Groll spricht, ist mit harten Schicksalsschlägen verbunden: Er und sein Team werden von der Feuerwehr, der Polizei und dem Rettungsdienst gerufen – bei der Überbringung von Todesnachrichten, Suiziden, suizidalen Situationen, aber auch bei häuslicher Gewalt. „Ja, es geht in erster Linie um den Tod. Wir stehen Menschen in ihren schwersten Krisen bei und geben ihnen Halt“, sagt der 51-Jährige, der 2015 durch eine Neuorientierung und ein nebenberufliches Theologiestudium zu dieser Berufung kam. Fremd war dem in den USA geborenen und im Heckengäu aufgewachsenen Groll das Brückenbauen allerdings nicht: „Ich komme aus einer internationalen Familie, mit schwäbisch-französischen Eltern, einem kambodschanischen Pflegebruder und fünf leiblichen Geschwistern – da lernt man das Teilen.“ Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Rettungssanitäter: „Das war quasi die Brücke in die Notfallseelsorge“, sagt er. Erst danach lernte er seinen „eigentlichen“ Beruf, wie er es nennt: Andreas Groll ist gelernter Landwirt und studierte Agrarwissenschaften an der Uni Hohenheim.

 

Ein Schicksalsschlag Schnell machte er Karriere in einem Unternehmen der Erneuerbaren-Energien-Branche und leitet heute die firmeneigene Akademie für Aus- und Fortbildung. „Ich kam früh in eine Führungsposition und habe gemerkt, dass Menschen sehr von ihrem Umfeld, von der Gesundheit und von aktuellen Problemen geprägt sind – da hilft keine Technik, es geht um Empathie und Einfühlungsvermögen“, erzählt der Vater zweier erwachsener Töchter, der sich mit seiner Familie schon lange in der Kirchengemeinde St. Hedwig und St. Ulrich engagiert. Durch einen Schicksalsschlag in der Familie lernte Groll selbst einen Notfallseelsorger kennen und spürte, dass ein Unglück „mit dem Glauben, Freunden und einem sozialen Netzwerk besser bewältigt werden kann – doch viele Menschen haben das eben nicht!“ Zwei Auslöser, einen neuen Weg einzuschlagen: Heute arbeitet Groll weiterhin in der Erneuerbaren-Energien-Branche, aber auch als Diakon freiwillig in der Kirchengemeinde, wo er sich um die Jugendarbeit kümmert und ältere Menschen besucht, und ist hauptamtlich in der Notfallseelsorge tätig, die in Trägerschaft der Kirchen unter dem Dach der städtischen Feuerwehr gegründet wurde. Ein bewegtes Leben, doch das gehört für Andreas Groll, der in Möhringen bereits als Kommunalpolitiker für die Grünen im Bezirksbeirat saß, dazu: „Ich bin ein Beziehungs-Mensch und mag das soziale Miteinander in unserem bunten Stadtteil“, sagt er. Bei der Verarbeitung der schrecklichen Fälle hilft Groll der Glaube: „Es gibt mir Halt zu glauben, dass Gott da ist.“ Außerdem unterstützen ihn Kollegengespräche, seine Familie und regelmäßige Supervisionen. „Natürlich braucht man auch eine gewisse Resilienz und darf nicht ständig nach dem Warum fragen.“ Er erzählt von der Dankbarkeit der Menschen, die ihm viel gibt. Seine Berufung sei nicht zu retten, sondern Menschen vor traumatischen Störungen zu bewahren. 

 

Termin

Andreas Groll informiert an zwei Abenden in S-Mitte über die Notfallseelsorger-Ausbildung: am 15. Februar im Rupert-Mayer-Haus (Hospitalstraße 26) und am 21. Februar im Hospitalhof (Büchsenstra.e 33), jeweils 19 Uhr. Der Einführungskurs beginnt am 4. März. Kontakt: 0175/506 50 45 oder groll@notfallseelsorge-stuttgart.de.

 

Anke Bauer

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 05/2022)

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