Zeuginnen des Wandels

Die Geschichte der Möhringer Streuobstwiesen ist repräsentativ für die Filder

 

Auf historischen Landkarten erkennt man, dass Möhringen noch im 19. Jahrhundert ein beschauliches Bauerndorf umgeben von Obstbaumbeständen war. Durch die Ausdehnung der Siedlungs- und Gewerbegebiete sind diese Flächen danach fast vollständig überbaut worden. Eines der letzten größeren zusammenhängenden Streuobstwiesenareale besteht jedoch bis heute „Am Rohrer Weg“.

 

Von Sonja Mailänder

 

Bereits vor der alamannischen Gründung Möhringens um 400 n. Chr. wurden hier vermutlich Obstsorten wie Apfel, Birne, Süßkirsche und Pflaume angebaut. Denn das Wissen über die Kultivierung der Früchte brachten etwa 300 Jahre vorher die Römer in den südwestdeutschen Raum. Noch bis in die Neuzeit beschränkten sich Obstgärten jedoch meist auf die unmittelbare Umgebung der Siedlungen und Gehöfte. Dies trifft auch auf Möhringen zu. Eine Ausbreitung der Bestände in die freie Landschaft erfolgte vorwiegend erst ab Ende des 18. Jahrhunderts. Gefördert wurde dies damals durch verschiedene Landesherren – allen voran Herzog Carl Eugen (1728 - 1793) und seine Gemahlin Franziska von Hohenheim (1748 - 1811) – die gezielte Maßnahmen zur Pflanzung und Pflege von Hochstämmen auf Allmendflächen sowie entlang von Straßen und Wegen ergriffen. Apfel- und Birnenmost lösten immer öfter Wein als Alltagsgetränk ab. In Möhringen wurde außerdem bereits vor Mitte des 19. Jahrhunderts gutes Tafelobst produziert. Positiv wirkte sich hier die Nähe des Stuttgarter Markts aus, auf dem hochwertige Erzeugnisse sehr gefragt waren. Unsere typischen schwäbischen Streuobstwiesen mit ihren verteilt angeordneten Hochstämmen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Arten und Sorten entstanden jedoch erst mit der zunehmenden Industrialisierung und den Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Erst damit war ein Verzicht auf Ackerflächen zur Sicherung des Lebensunterhalts möglich und man ließ unter den Obstbäumen Grünland aufkommen. Dieses wurde in der Regel extensiv, mit einbis zweimaliger Mahd pro Jahr und/oder Beweidung, bewirtschaftet.

 

Umnutzung oder Brache

 

Ihre größte Ausdehnung erreichten die Möhringer Streuobstwiesen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Früchte, Saft und Most geschätzt, jedoch waren bereits damals einige Flächen der Ausweitung von Siedlungs- und Gewerbegebieten zum Opfer gefallen. Verstärkt seit den 1950er Jahren machte sich zudem die Konkurrenz anderer, ertragreicherer Anbauregionen bemerkbar. Auch der klassische schwäbische “Moscht” und der Apfelsaft sind nach und nach vielfach durch Bier, Orangensaft oder andere Importprodukte ersetzt worden. Die Folge war und ist ein wachsendes Desinteresse und eine nachlassende Pflege der heimischen Streuobstwiesen. War keine Umnutzung in Bauland möglich, wurden sie oft zu Freizeitflächen und Hobbygärten umgewandelt oder fielen gänzlich brach.

 

Auch „Am Rohrer Weg“ gab es vor allem ab den 1980er Jahren heiße Debatten über eine mögliche Bebauung der Obstwiesenlandschaft. Schließlich einigte man sich hier auf einen „Kompromiss“: Für eine Bauzeile entlang der Udamstraße mussten 0,6 Hektar Obstbäume weichen, 12 Hektar hingegen wurden 2005 vom Regierungspräsidium Stuttgart dem Landschaftsschutzgebiet „Glemswald“ zugeschlagen und damit langfristig gesichert.

 

(Artikel aus Möhringen Aktuell, KW 17/2021)

Zurück

Einen Kommentar schreiben